Jaja, die 80er. Wer sich an sie erinnert, hat sie nicht erlebt, sagen manche. Heute sitze ich mal wieder im Bagelshop meiner Wahl und klicke mich durch die Gegend, nachdem ich mal wieder an meinem Youtube Channel gebastelt habe, da fällt mir dieses Video in die Hände … oder auf den Bildschirm … oder wie auch immer man heute sagen muss. Und das weckt so wahnsinnig viele Erinnerungen an die 80er, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll und ob das überhaupt jemanden interessiert. Aber egal. Ich schreib mal los über eine ganz besondere Erinnerung … und das kann jetzt etwas länger dauern …
Es war der 10. Mai 1987 und ich war auf dem Weg. Aufgeregt, mit einer Konzertkarte in der Hand saß ich neben meinem Bruder im Auto, der mich aus der beschaulichen Oberpfalz in Richtung der etwa 200 km entfernten Olympiahalle unserer Landeshauptstadt kutschierte. Zwar war ich bereits in der unmittelbaren Umgebung in kleineren Konzerten gewesen, aber noch nie in einem so großen. Premiere!
Die Band war eine der größten Bands der 80er: Duran Duran. Meine Eltern hatten mir das Ticket völlig überraschend geschenkt, vermutlich in der Hoffnung, dass sie endlich mal EINEN Tag hatten, an dem sie diese Musik zuhause nicht ertragen mussten. Als Generation der Roy Black, Karel Gott und Roland Kaiser Hörer hatten sie logischerweise für diese Art Musik kein Verständnis. Auch meinem Bruder gaben sie damals ein Ticket mit. Aber auch das war natürlich eigentlich „Perlen vor die Säue“, denn er war Generation Beatles und konnte mit diesem 80er Kram selbstredend auch nix anfangen. Also vercheckte er das in meinen Augen wertvolle Ticket mal eben vor der Halle und machte sich woanders einen lauen Abend. Bis zum heutigen Tag weiß ich nicht, wo und womit. 🙂
Ja, ich war tatsächlich in den 80ern ein sogenannter Duranie und schlug mich mit meiner Arenakarte bei der Münchner Ausgabe der oben zu sehenden Show bis nach vorne durch.
Mit doch gemischten Gefühlen wartete ich auf den Start des Konzerts, denn es erwartete mich nicht das ursprüngliche Quintett, das bei mir seit Jahren auf dem Plattenteller rotierte. Es war die erste Duran Duran Tour nach der Wiedervereinigung. Die Band hatte sich im Nachgang ihres Megahits Wild Boys in zwei Fraktionen (die Elektronikfreaks – Arcadia – und die Hardrocker – Power Station) getrennt, sich nochmal kurz zum James Bond Song A View To A Kill 1 zusammen gerauft. Danach schien die Band ins ewigen Notengründe der Musikgeschichte einzugehen. Burnout des Drummers Roger Taylor, unüberbrückbare Differenzen mit dem Gitarristen Andy Taylor. (Keiner der Taylors verwandt oder verschwägert.)
Schließlich kam es doch zu einer neuen Platte namens Notorious aus den Produzentenfingern von Nile Rodgers.2 Das Quintett war zu einem Trio geschrumpft und hatte den Zenith überschritten: Sänger Simon Le Bon, Bassist John Taylor und Keyboarder Nick Rhodes. Da stand ich also und dachte: Schon schade irgendwie, nicht mehr die „Original“-Besetzung sehen zu können. Wie wird das jetzt wohl werden?
Dann wurde es dunkel. Im Nebel und einer bedrohlich lichtpulsierenden Bühne enterten die schwarzen Silhouetten die Bühne. Exakt wie im Video trafen sich Simon Le Bon und John Taylor in der Mitte, klatschten sich mit dem Auftakt zu A View To A Kill ab und los ging der Ritt.
Unmittelbar vor mir schwang der neue Live-Gitarrist Warren Cuccurullo 3 die sechseitige Axt. Bereits nach wenigen Takten hatte ich Andy Taylor vergessen. Hinzu kam, dass Steve Ferrone am Schlagzeug den Songs eine völlig neue Erdigkeit verpasste. Die dreiköpfige Bläsersektion (Session Musiker, die auch für Grace Jones, David Bowie, Chic, etc. unterwegs gewesen waren) tat ihr übriges. Ja, es war alles anders. Es war … BESSER! 4 Die alten Songs reinterpretiert, modernisiert. Es war rockig, es war funkig, es war poppig. Es war Duran Duran Reloaded.
Geflashed verließ ich hinterher die Olympiahalle und meine Eltern mussten sich dieses Video, das ich mir natürlich damals besorgte (da gab es tatsächlich noch VHS!), dann leider auch sehr oft aus der sicheren Entfernung der Wohnküche anhören. Jaja, so manche Geschenke können auch nach hinten losgehen.
Ich habe Duran Duran im Laufe der Jahre noch öfter live gesehen. Völlig unerwartet fiel auch Anfang der 2000er tatsächlich eine Reunion in der Originalbesetzung vom Himmel. Erneut stand ich in der Olympiahalle. Und ich sag euch: Ich habe Steve Ferrone und vor allem Warren Cuccurullo wirklich vermisst an diesem Abend…
Jetzt sitze ich also wieder hier im Bagelshop meiner Wahl – kurz davor, rausgeschmissen zu werden, denn der Laden hat eigentlich seit 20 Minuten geschlossen – mit Kopfhörern und Working for the Skin Trade im Ohr und der Frage:
War das alles nur eine Halluzination? Hat sich die Musik rückwirkend betrachtet überlebt? Kann man sich die Songs heute noch anhören? In den 80ern war ja nun auch nicht alles Gold, was geglänzt hat. Aber nein: Auch mit dem großem zeitlichen Abstand erwische ich mich nach wenigen Takten mitgroovend und kann immer noch jedes Drumfill auf dem Tisch mitklopfen, jedes Gitarrensolo auf der Luftgitarre mitspielen und jedes LeBon-sche adlib mitlallen. In einer Zeit, in der es tatsächlich noch mehr um die Musik ging, als um eine vollständig durchchoreografierte Show. Es stimmt: Hätte ich dieses Konzert heute erst auf Video entdeckt und wäre nicht selber dort gewesen, würde ich sagen: „Shit! Warum hab ich DAS verpasst?“ Ich habe Duran Duran at their best erlebt. Bewusst! In den 80ern! Meiner Familie sei dank …
Fotos: Originalfotos aus dem Alex Sebastian Fotofundus von 1987.
1 Bassist John Taylor hatte in einer Bierlaune unabgestimmt mit den anderen Bandmitgliedern Bond Produzent Albert Broccoli belabert, Duran Duran würden gerne einen Bond Song schreiben. Dieser sagte zu Taylors völliger Überraschung zu.
2 Über Nile Rodgers könnte ich jetzt auch stundenlang referieren, aber das ist eine andere Geschichte, die soll ein andermal erzählt werden. Es stellte sich sehr viel später raus, dass er in fast allem, was ich in den 80ern cool fand, seine Produzentenfinger drin hatte. Und auch heute produziert er noch Hits. Z.B.: Daft Punk – Get Lucky.
3 Der New Yorker Warren Cuccurullo, wie ich erst Jahre später ermittelte, war vorher bei Frank Zappa zur Lehre gegangen. Zwei Alben später sollte er der Band später schlussendlich als vollwertiges Mitglied beitreten und mit seiner prägnanten Gitarrenlinie zu Ordinary World der Band zu neuem Glanz und einem Welthit verhelfen. Eine weise Entscheidung, ihn zu integrieren. Wozu zum Henker dann – noch viel später – die Reunion in Originalbesetzung mit Andy gut sein sollte, weiß ich nicht. Bereits nach dem Reunion-Album warfen sie Andy wieder raus und hatten sich vor der Reunion wohl etwas dumm in der Kommunikation mit Warren angestellt, so dass auch dieser endgültig als Verlust zu vermelden war …
4 Meine Alltime Favorite musikalischer Moment dieser Show ist das … ich würde fast sagen … Metal-Gitarrensolo Minute 18:50, das sich bis in den nächsten Chorus zieht und diesen energetischen, aber doch poppigen Song – Vertigo – so unglaublich aufbricht und der auf diesen Song folgende Chauffeur. Wenn ihr keine Stunde Zeit habt, schaut euch nur das an.